Zwei Striche, die alles verändern

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Alles begann im April 2021 mit einer scheinbar normalen Erkrankung. Ein Bewohner des Hauses Halmerweg, einer vom Martinsclub Bremen e. V. betriebenen Gemeinschaftsunterkunft für Menschen mit Behinderung, lag mit hohem Fieber im Bett. Doch was ist in Zeiten der Corona-Pandemie schon normal?

Zwei Striche auf dem obligatorischen Corona-Test ließen die böse Vorahnung zur traurigen Gewissheit werden: Das Virus hatte sich seinen Weg ins Wohnheim gebahnt – und hob das Leben von 16 Bewohnerinnen und Bewohnern sowie dem Betreuungspersonal komplett aus den Angeln. „Natürlich saß der Schock bei allen Beteiligten erstmal tief. Und niemand wusste, was auf uns zukommen würde“, erinnert sich Hausleiterin Sandrea Horn. Dennoch war schnelles Handeln angesagt: Das Gesundheitsamt wurde informiert, die anschließende PCR-Reihentestung ergab, dass zwei Mitarbeitende ebenfalls infiziert waren.

Vier Wochen allein im Zimmer

Von jetzt auf gleich mussten alle Bewohnerinnen und Bewohner in Quarantäne – wohlgemerkt im eigenen Zimmer. „Alles, was ich am Leben hier schätze, war plötzlich weg. Die Gemeinschaft, das gesellige Miteinander, gemeinsame Mahlzeiten – auf einmal war man im eigenen Zimmer isoliert“, sagt Bewohnerin Marika Prieser. Ganze vier Wochen, so die behördliche Anordnung, musste dieser Zustand aufrechterhalten werden – eine verdammt lange Zeit. Vor allem im Frühling, wo das Wetter schöner und die Lust, rauszugehen, immer größer wurde. „Wir hatten keine Wahl und haben die Anweisungen natürlich strikt befolgt, um alle Beteiligten bestmöglich zu schützen“, so Horn. Dennoch mutete die Situation teils absurd an. Denn: „Ich habe mich überhaupt nicht krank gefühlt, mir ging es gut. Trotzdem waren Quarantäne und Alleinsein angesagt. Das war schon ziemlich bitter“, erklärt Bewohner Axel Janssen. Zudem mussten sich die Nutzerinnen und Nutzer wöchentlichen PCR-Tests unterziehen; eine unangenehme Angelegenheit. „Da waren meine Überzeugungskünste gefragt. Als Lockmittel und als Belohnung gab es Schokolade“, wie Hausleiterin Horn erzählt. Allen Maßnahmen zum Trotz steckten sich weitere Personen in der stationären Gemeinschaftsunterkunft an. Was tun also in einer solchen Situation? „Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen“, findet Bewohnerin Uschi Randolph. „Zusammen essen konnten wir ja nicht, deshalb durften wir beim Essen Fernsehen gucken.“ Viele gespendete DVDs sorgen zeitweise für Abwechslung. Auch die häufigen Pizza-Bestellungen konnten die Stimmung zumindest etwas aufhellen. „Hin und wieder haben wir auch mal eine coronakonforme Party gefeiert, mit offenen Zimmertüren und lauter Musik auf den Fluren. Aber nach zwei Wochen war die Luft einfach raus“, sagt Horn. Allen Beteiligten fiel vor Eintönigkeit sprichwörtlich die Decke auf den Kopf.

Die Erfahrung mit dem Tod

Was es wirklich heißt, in einer Pandemie zu leben, zeigte sich allerdings nicht nur in Einsamkeit und Langeweile – sondern auch am Sterbebett. Der Gesundheitszustand eines Infizierten verschlechterte sich, sodass er ins Krankenhaus musste. Dort verstarb er kurze Zeit später. „Zwar durfte er, als er im Sterben lag, wieder Besuch empfangen. Aber diese ganze Situation war einfach furchtbar und sehr belastend. Viele Jahre hatte er im Haus Halmerweg gelebt, war hier ein Urgestein“, weiß Horn. Schlechte Quarantäne-Laune mischte sich nun mit der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen. Mittlerweile ist wieder so etwas wie Normalität eingekehrt im Haus Halmerweg – soweit die Pandemie dies denn zulässt. In jedem Fall hat der Corona-Ausbruch seine Spuren hinterlassen. „Es gab hinterher oft Streitereien. Irgendwie mussten wir uns alle erstmal wieder aneinander gewöhnen. Und natürlich fehlt hier jetzt jemand, es ist nicht mehr wie vorher“, findet Uschi Randolph. Hausleiterin Sandrea Horn ergänzt: „Spätestens diese Ausnahmesituation hat uns vor Augen geführt, wie fragil unsere Normalität durch Corona geworden ist. Hoffentlich kriegen wir die Sache durch die Booster-Impfungen schnell in den Griff.“

Bild: Hausleiterin Sandrea Horn musste sich Einges einfallen lassen, um die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft für Menschen mit Behinderung während der Quarantäne bei Laune zu halten Bildquelle: Frank Scheffka

 

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