75 Jahre Bremer Landesverfassung

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Als die Landesverfassung im Herbst 1947 in Kraft trat, war Bremen eine in weiten Teilen durch Bombenangriffe zerstörte Stadt. Häuser in Trümmern, Straßen schwer beschädigt, Fabriken zerstört oder aber mit Beschränkungen belegt, Kommunikationsanlagen nur teilweise nutzbar. Wohnungen fehlten, Nahrungsmittel waren knapp.

Unter diesen schweren Bedingungen arbeitet seit dem Frühjahr eine Kommission an dem Text einer neuen Landesverfassung, die der Senat am 15. September beschließt und dem Volk am 12. Oktober zur Billigung via Volksentscheid vorlegt. Das geschieht mit sehr deutlicher Mehrheit von 72,5 Prozent. Daraufhin verkündete der Senat den Text heute vor genau 75 Jahren am 21. Oktober 1947 – am Folgetag trat die Verfassung in Kraft.

Fundament und Wegweiser

In den Verfassungsberatungen gelang es, einen Konsens fast aller Parteien in der von den Alliierten ernannten Bürgerschaft herzustellen. Besonders umstritten, aber schließlich einvernehmlich formuliert waren die Passagen über das Bildungswesen und die Mitbestimmung. Die Verfassung orientierte sich an dem Modell des Stadtstaates mit starker republikanischer Prägung: Soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Gebot der Menschlichkeit bilden die Eckpfeiler. Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte: „Bis heute gilt Bremen als ‚Wunschkind der Verfassung der Bundesrepublik‘, wie es das Bundesverfassungsgericht einmal formulierte. Der von gesellschaftlicher Solidarität geprägte republikanische Geist hat das Miteinander von Kaufmannschaft und Arbeitnehmerschaft begründet, prägt bis heute unser Land und hat geholfen, Bremen gut durch die Jahrzehnte zu führen. Mit unserer Verfassung haben wir ein Fundament, das uns nicht nur in der Vergangenheit den Weg gewiesen hat, sondern das uns auch bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen eine gute Richtung weisen wird.“

Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff pflichtet bei: „Unsere Landesverfassung ist seit 75 Jahren die Gebrauchsanweisung für unsere freiheitliche Demokratie, unsere Grund- und Werteordnung und unser gesellschaftliches Zusammenleben.“ Trotz ihrer Grundsätzlichkeit dürfe eine Verfassung nicht in Stein gemeißelt sein, sondern müsse sich der Gesellschaft ihrer Zeit anpassen. Ihre Veränderung sei zu Recht an strenge Voraussetzungen geknüpft. Die Bremische Bürgerschaft habe in diesem Rahmen immer wieder Änderungen an der Landesverfassung beschlossen. „Es sind in all den 75 Jahren aber vor allem die Bremerinnen und Bremer, die Bremerhavenerinnen und Bremerhavener gewesen, die für eine lebendige Demokratie gesorgt haben. Ohne zivilgesellschaftliches Engagement bleibt der beste Verfassungstext nur ein Stück Papier“, betont der Landtagspräsident.

Ein Kind der alliierten Nachkriegsordnung

Begonnen hatte der Prozess zur Landesverfassung im Prinzip exakt zehn Monate vor ihrer Verkündung: Am 21. Januar 1947 hatte der US-Militärgouverneur für Deutschland, Joseph T. McNarney, die Proklamation No. 3 unterzeichnet. Durch sie wurde die Freie Hansestadt Bremen rückwirkend zum 1. Januar 1947 wieder ein Land. Damit gab es wieder das Land Bremen, das aus der Stadt Bremen und der rund 60 Kilometer nördlich gelegenen Stadt Wesermünde – aus der später Bremerhaven hervorging – besteht. Bremerhaven wurde dann in der Verfassung das bundesweit für eine Stadt einmalige Recht eingeräumt, sich eine eigene Stadtverfassung zu geben. Prof. Dr. Konrad Elmshäuser, Leiter des Staatsarchives Bremen: „Die Bremische Landesverfassung war erkennbar ein Kind der alliierten Nachkriegsordnung Deutschlands, orientiert u.a. an der Verfassung des Landes Hessen von 1946, das ebenfalls ein Teil der US-Zone war. Zudem nahm sie bewährte, liberale Traditionen der Weimarer Verfassung Bremens auf. Vor allem aber flossen die Erfahrungen von Verfolgung und Diktatur in der NS-Zeit als Garanten der Einhaltung der Menschen- und Grundrechte sowie als Verpflichtung des Staates zum Schutz der Schwachen und zur Achtung der Gebote von Menschlichkeit und Sittlichkeit ein.“

Die Verfassungsdeputation hatte in einem knappen halben Jahr ein Dokument erarbeitet, das aus 155 Artikeln besteht. Bemerkenswert sind etwa das in Artikel 8 verankerte Recht wie auch die Pflicht zur Arbeit. Auch in einem weiteren sozialen Punkt geht sie etwa über das Grundgesetz hinaus, indem sie in Artikel 14 „den Anspruch auf eine angemessene Wohnung“ benennt. Im Laufe der Jahrzehnte ist natürlich auch die Bremer Landesverfassung mehrfach geändert und zeitgemäßen Werten angepasst worden. So wurden unter anderem das Verbot einer Benachteiligung wegen einer Behinderung oder der sexuellen Identität eingefügt, der Datenschutz oder auch der Tierschutz. 35-mal beschloss die Bürgerschaft Änderungen – viele Jahre lang war das im Übrigen nur einstimmig oder durch Volksentscheid möglich. Erst seit 1994 genügt hier eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Was aber bis heute blieb und in der bundesdeutschen Verfassungslandschaft auch Seltenheitswert hat: Der Präsident des Senats arbeitet als einziger deutscher Ministerpräsident ohne Richtlinienkompetenz, er kann den Fachsenatoren also keine Anweisungen geben.